Küchen auf engstem Raum

Wer Tiny House sagt, muss auch Tiny Kitchen sagen.

Wenn man Tiny Houses schon bei Tchibo bekommt und Küchenhersteller wie nobilia Tiny Kitchen im Programm haben – spätestens dann sollte einem klar sein, dass Mini-Immobilien im Trend sind. Ein Grund dafür ist die Wohnungsnot, ein anderer der bewusste Konsumverzicht oder auch modernes Nomadentum. Längst interessieren sich auch Stadtplaner für Tiny Häuser.

Küchen so groß wie Empfangshallen – auf 50 bis 60 Quadratmeter lichten Küchenhersteller ihre Einrichtungsvorschläge für den Genussraum ab. Werden damit nicht völlig unrealistische Wohnwünsche geweckt? Findet das Dortmunder Bauordnungsamt und bekommt für seine Kampagne "Tiny Einfamilienhäuser" sogar Fördergelder der Bundesregierung. Die angedachten Einfamilienhäuser sollen mit 75 Quadratmeter Wohnfläche auskommen und weniger als 200 Quadratmeter Grund. Das ist die Hälfte der sonst üblichen Fläche.

Leben im Tiny House – ist das nur was für passionierte Camper? Anscheinend nicht, das hat man jetzt erforscht. Tatsächlich ist die Zielgruppe der Menschen, die sich Mini Living oder Micro-Wohnen gut vorstellen können oder sogar erträumen, ziemlich vielfältig. Stadtplaner kommen auf ganz verschiedene Motivationen:

  • Weniger Hausarbeit, alles in greifbarer Nähe – diesen Vorteil sehen v. a. ältere Menschen, die sich darum räumlich verkleinern möchten.
  • Heute hier, morgen da – gemeint sind mobile Menschen mit zwei Lebensmittelpunkten oder solche, die nur vorübergehend sesshaft sind.
  • Wenig Besitztum – das betrifft alle Minimalisten, die mit wenig auskommen und sich auf das Wesentlichste konzentrieren wollen.
  • Kleiner CO2-Fußabdruck – darauf legen Menschen Wert, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. Tiny Houses sparen Energie und Ressourcen, einfach weil sie so klein sind und oft auch autark konzipiert bspw. durch Photovoltaikwände, Trockenklo und Wasserwiederverwendung.
  • Billiges Eigenheim in der City – Bauland wird v. a. stadtnah immer teurer. Menschen, die hier trotzdem ihre eigene Hütte haben wollen, planen eben einfach kleiner.

Der Run auf die Städte macht neue Wohnformen erforderlich

Zentrumsnah wohnen – das wollen gerade diejenigen, die auch in der Stadt arbeiten. Doch nicht nur um Pendlerstaus aus dem Weg zu gehen, hat das Leben in der Stadt an Attraktivität gewonnen. Das zeigt die Statistik: Bereits drei Viertel der Deutschen leben in Städten. Zum Vergleich: In den Beneluxländern sind es bereits 98 Prozent.

Diese Landflucht macht das Wohnen in Städten aber auch immer teurer – ganz besonders in den angesagten Großstädten. Eine bezahlbare Mietwohnung zu finden, kann Monate dauern und doch nicht zum Erfolg führen. Dasselbe gilt für WG-Zimmer, oft unwesentlich günstiger als ein Apartment. Tiny Houses können in solchen Fällen die Lösung sein.

Davon ist Van Bo Le-Mentzel überzeugt. Der in Laos geborene, in Berlin lebende Architekt hat ein Tiny House konzipiert, das nur 6,4 Quadratmeter Stellfläche benötigt und daher in jeder Bau- oder Parklücke Platz findet. Weil Le-Mentzels "100-Euro-Wohnung" fast 4 Meter hoch ist und große Fenster hat, wirkt sie innen drin dennoch geräumig – und bietet Platz für alles: Küchenzeile, Bett, Schreibtisch, (Schlaf-) Sofa, (Kompost-)Toilette und Dusche.

Tiny Kitchen von Nobilia

Wenig Platz heißt auch wenig Habe: kaum Stauraum im Tiny House

Ganz klar: Ohne Talent für Ordnung und Lust am reduzierten Wohnen geht das nicht. Le-Mentzel vertritt denn auch wenig überraschend die japanische Lebensphilosophie Dan Sha Ri. Die Silben stehen für Verzicht, Entledigung und daraus entstehenden Freiraum. Also tschüss Stehrümchen, Küchenmaschine, Schuh-Sammlung und Andenken!

In Japan ist man darin geübt, aus wenig Platz viel Raumgefühl herauszuholen. Tokioter haben für ihre Einfamilienhäuser oft nur 30 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Um trotzdem Weite zu vermitteln, schaffen sie betonte Übergangsbereiche zwischen Drinnen und Draußen – ein bodentiefes Fenster etwa, vor dem die gleichen Kieselsteine liegen wie dahinter. So entsteht der Eindruck, die Natur rage ins Haus und mit ihr ihre Weitläufigkeit.

Ein anderer Trick ist Verschachtelung: Vorsprünge, Podeste (die als Stauraum dienen) und mehrere Ebenen (z. B. mit Schlafempore) sorgen für Vielseitigkeit, verhindern die beengende Sicht auf vier gerade Wände wie in einer rechteckigen Schuhschachtel. Zu visueller Weite verhilft auch eine durchgängige Gestaltung von Boden, Wand und Decke – zum Beispiel aus Fichtenholz. Auch niedrige Möbel tragen dazu bei. Oder Stühle wegzulassen – damit haben es Japaner sicher leichter ...

Die Innenarchitektur eines gelungenen Tiny Houses hat also wenig gemein mit der eines Wohnmobils, in dem Funktionalität Priorität hat und die meisten Möbel einklappbar sind. Problem nur: Bauflächen, auf denen Tiny Houses dauerhaft stehen könnten, gibt es bislang noch selten. Aber das wird sich in Zukunft vielleicht ändern. Zumindest Dortmunds Stadtplaner Gerald Kampert plant bereits ein "Tiny Village" – ähnlich dem Mini-Dorf im Fichtelgebirge.

Isabelle Reiff